Regula Kaiser, Leiterin der Fachstelle Stadtentwicklung und Stadtmarketing der Stadt Zug, entwickelt im Gespräch mit Autor Werner Schaeppi familienfreundliche Ideen für die Stadt der Zukunft.
Herausgefordert sind Architektur und Investoren, Bewohnerschaft und Behörden. Gestärkt werden Wohn- und Lebensqualität, Gemeinwohl und Bürgersinn.
Stadtentwicklerin Regula Kaiser wünscht sich eine familienfreundliche Urbanität. Die Stadt der Zukunft soll zeitgemäss dicht und gleichzeitig lebenswert sein, indem sie sich auf die Bedürfnisse und wechselnden Lebenssituationen der Bewohnerinnen und Bewohner ausrichtet. Chancen dafür sieht sie in der Gestaltung von Gebäuden und Aussenräumen, aber auch im Prinzip der Sharing Economy und im Mut zur Gemeinsamkeit.
«Wir sollten unsere Ansprüche an das Hausinnere reduzieren und dafür dem Aussenraum und der Bereitstellung gemeinsam nutzbarer Ressourcen mehr Bedeutung geben. Dadurch fördern wir die Aufenthaltsqualität und das Zusammenleben im urbanen Raum.» Bei der gedanklichen Umsetzung ihrer Vision setzt Regula Kaiser pragmatisch bei der Architektur von Hochhäusern und der Weiterentwicklung der klassischen Blockrandbebauung an. «Mit beiden Siedlungsformen lässt sich im urbanen Raum eine hohe Dichte erzeugen, und bei beiden ist das Potenzial in Richtung Familienfreundlichkeit heute noch bei weitem nicht ausgeschöpft.»
Lebensfreundlich planen und gestalten
Durch zeitgemässe Gebäude- und Arealstrukturen sollen die urbanen Zentren insgesamt freundlicher und lebenswerter werden. Eine Voraussetzung ist laut Kaiser, dass sowohl innerhalb von Gebäudekomplexen und Siedlungen als auch im umgebenden Freiraum unterschiedliche Belegungsdichten und Grade der Öffentlichkeit möglich sind.
«Als Erstes können wir Hochhäuser und Blockrandbebauung so gestalten, dass Kinder eine Bandbreite an Räumen und Infrastrukturen vorfinden, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Entwicklungsstufen gerecht werden», erklärt Kaiser. Es sollen Freiräume geschaffen werden, die es den Kindern ermöglichen, sich altersgerecht zu betätigen und zu entfalten. In Hochhäusern wäre beispielsweise ein halböffentlich zugängliches Zwischengeschoss nützlich, das als Treffpunkt für die Bewohnerschaft fungiert und in dem sich die Kinder entfalten können. «Die Kinder halten sich zu Beginn der Entwicklung vielleicht noch viel in der Wohnung auf. In einer späteren Phase treffen sie sich im Hof oder im Zwischengeschoss des Gebäudes, und je älter sie werden, desto interessanter werden die umgebende Natur, der Jugendtreffpunkt oder die Begegnungen in der Stadt. Wenn die Architektur kindergerecht ist, dann erleichtert das auch die Arbeit der Betreuungsperson und fördert damit die Aufenthaltsqualität für Familien.»
Ein willkommener Nebeneffekt: Indem man konsequent geeigneten Freiraum für die Entfaltung der Kinder und ihrer Familien schafft, verringert sich der Anspruch an die Wohnung selbst. «Wenn genügend attraktive Freiräume sowie eine allgemein zugängliche Infrastruktur zur Verfügung stehen, kommen Familien mit kleineren und erschwinglicheren Wohnungen aus», meint Regula Kaiser. Entlastend wirken zum Beispiel ein zentraler Stauraum, wo die Bewohnerinnen und Bewohner der Liegenschaft selten Gebrauchtes zwischenlagern – vielleicht sogar ausleihen – können, eine kleine Werkstatt oder etwa ein zentral gelegenes Gästezimmer, das man bei Bedarf temporär zumieten kann. «Solche Angebote reduzieren den Platzbedarf in der Wohnung und ermöglichen es unter Umständen sogar, auf ein drittes oder viertes Zimmer zu verzichten.» Und schliesslich müssen die einzelnen Gebäude, Siedlungen und Quartiere laut Kaiser auch auf raumplanerischer Ebene durch Wege, Strassen und zusammenhängende Aussenräume vernetzt werden. «So entsteht städtebauliche Qualität.»

Gemeinschaft leben
Zur Förderung der Aufenthalts- und Lebensqualität sollen künftige Siedlungen, Gebäude und Aussenräume gezielt Infrastruktur zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung stellen, von Gartensitzplätzen über Grillstellen und Spielplätze bis zur Gemüse-Anbaufläche. «Und eigentlich wäre auch in jedem grösseren Mehrfamilienhaus ein Mobilitäts-Hub im Untergeschoss zu erwarten», meint Kaiser, «mit diversen Fahrzeugen, die den Bewohnern zur Verfügung stehen, sodass sich individuelle Fahrzeuge erübrigen.» Weiter könnte das Angebot auch ein Magazin mit Geräten und Utensilien vom Staubsauger über Werkzeuge bis zum Kuchenblech umfassen, welche der Bewohnerschaft bei Bedarf zur Verfügung stehen, sodass sie nicht jeder Haushalt für sich anschaffen und aufbewahren muss.
«Konfliktfreies Leben ist langweilig. Unsere Architektur ist heute viel zu stark darauf ausgerichtet, Konflikte zugunsten von Anonymität zu vermeiden.»
Regula Kaiser, Stadtentwicklerin
Das Teilen von Ressourcen fördert die Gemeinschaft, birgt aber auch Konfliktpotenzial. Regula Kaiser sieht das keineswegs negativ: «Konfliktfreies Leben ist langweilig. Unsere Architektur ist heute viel zu stark darauf ausgerichtet, Konflikte auf Kosten des gemeinschaftlichen Erlebnisses und zugunsten von Anonymität zu vermeiden. In einer lebendigen Wohnumgebung dürfen ruhig auch mal Wasser, Sand, Dreck und der Lärm des Spielens vorkommen.»
Konfliktmanagement ist laut Kaiser ein inhärenter und formender Teil des Zusammenlebens. «Nachbarschaftliches Zusammenleben entsteht, indem man Reibung hat und Lösungen miteinander findet.» Die breite Akzeptanz und Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationsmittel wie Nachbarschafts-Apps und WhatsApp-Gruppen begünstigt diesen Prozess. «So sollte beispielsweise in jedem Mehrfamilienhaus ein Mieter-Chat für den kontinuierlichen Austausch in der Bewohnerschaft und die rasche Integration von Neumieterinnen und -mietern zur Verfügung stehen.»
Selbstverständlich ist all dies auch mit Aufwand verbunden. «Gemeinschaft ist nicht gratis, man muss sich das etwas kosten lassen», meint Regula Kaiser. Das betrifft nicht nur die Anschaffung und Bereitstellung geeigneter Räume, Ressourcen und Strukturen, sondern auch den Betrieb und Unterhalt. «Es muss jemand zuständig sein. Vielleicht ist es der Hausdienst oder jemand aus der Bewohnerschaft, der zu den Räumlichkeiten.»
Es ist denkbar, dass für die lebenswerte Stadt der Zukunft auch Behörden einen Teil ihrer Handlungen, Usanzen und Vorschriften neu überdenken müssen, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung der öffentlichen Räume. «Heute ist im öffentlichen Raum fast alles geregelt oder untersagt. Im Gegenzug muss mit öffentlichen Mitteln das Stadtleben gefördert werden. Ein bisschen mehr Laisser-faire würde unserem Stadtleben manchmal ganz guttun», meint Regula Kaiser. Voraussetzung für die lebenswerte Stadt der Zukunft sind der Mut und die Bereitschaft aller Beteiligten, sich den Herausforderungen des Zusammenlebens in zunehmend engerem Raum zu stellen und diese als Chance zu begreifen.
Kurzporträt Regula Kaiser

Kurzporträt Werner Schaeppi

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Bildnachweis: Stadt Zug / Alexandra Wey
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