Gestartet hat Baptiste Wicht den Finanzblog «The Poor Swiss» 2017. Damals stellte er fest, dass er in eine finanzielle Falle tappte: Wenn sein Einkommen stieg, neigte er dazu, auch seine Ausgaben zu erhöhen – anstatt mehr zu sparen.
Er entschied sich, seine Ausgaben zu senken und sein Einkommen zu steigern. Seit 2019 spart er jedes Jahr mehr als 50 % seines Einkommens. Er hat sich zum Ziel gesetzt, finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen und den Schweizerinnen und Schweizern bei ihren Finanzen zu helfen. Hier das Interview.
Sie sind einer der erfolgreichsten Finanzblogger der Schweiz. Sie nennen sich selbst «Mr. The Poor Swiss». Sind Sie ein armer Schweizer?
Baptiste Wicht: «Nein! Der Name des Blogs soll nicht andeuten, dass ich arm bin, sondern dass die Schweizer bei weitem nicht so reich sind, wie die Welt glaubt. Sicher, wir haben ein hohes Durchschnittsgehalt, aber die Lebenshaltungskosten sind so hoch, dass viele Menschen finanziell nicht so gut dastehen. Und obwohl wir im Land der Banken leben, sind die Banken nicht wirklich dazu da, uns reicher zu machen.
Ausserdem sind die Schweizer nicht gut im Umgang mit Geld und vertrauen voll und ganz auf das System und die Banken. Diese Lücke versuche ich mit meinem Blog zu schliessen.»
Sie sind Teil der sogenannten FIRE-Bewegung. Was will diese erreichen?
«Das Ziel der FIRE-Bewegung ist es, finanzielle Unabhängigkeit (FI) zu erreichen. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet, dass wir nicht mehr für Geld arbeiten müssen. Das gibt uns die Freiheit, selbst zu entscheiden, was wir tun möchten, und nicht mehr für Geld und unseren Lebensunterhalt arbeiten zu müssen.
Für viele Menschen in der FIRE-Bewegung bedeutet finanzielle Unabhängigkeit (FI) vorzeitigen Ruhestand (RE). Die Idee dahinter ist, sich im Ruhestand auf sich selbst zu verlassen, anstatt sich auf das Rentensystem des Landes zu verlassen (oder es zu ergänzen). Viele Menschen möchten nicht bis ins hohe Alter arbeiten, sondern schon vorher ihren Ruhestand geniessen.»
FIRE zielt auf eine finanzielle Unabhängigkeit mit 40 Altersjahren. In einigen Jahren sind Sie 40 – haben Sie dann finanziell ausgesorgt und gehen in Rente?
«In 3 Jahren werde ich 40 sein und noch weit von der Rente entfernt. 🙂 Mein Ziel ist es, mit 50 finanziell unabhängig zu sein. Vielleicht schaffe ich es schon mit 45, aber mit 40 ist das auf keinen Fall möglich. Ich habe spät angefangen und es gibt einige Faktoren, die uns bremsen (vor allem Steuern in einem ungünstigen Kanton), sodass wir FIRE mit 40 nicht erreichen können.
Für mich ist das Wichtigste an FIRE der Teil FI. Ich möchte die Freiheit und Sicherheit von FI und nicht den frühen Ruhestand. Ich glaube immer noch, dass ich früh in Rente gehen werde, aber vielleicht werde ich in irgendeiner Form weiterarbeiten. Fragen Sie mich in ein paar Jahren noch einmal.»
Sparen, Geld verdienen, investieren und für die Zukunft planen: Wie setzen Sie FIRE in Ihrem Alltag mit Ihrer Familie um?
«Ich mache nicht so viel täglich. Wir versuchen, sparsam zu sein und nicht zu viel auszugeben, aber wir wollen uns auch nichts vorenthalten. Wir essen, was wir wollen, und wir machen Urlaub.
Ausserdem führen wir monatlich Buch über unsere Ausgaben. Am Ende des Monats investieren wir alles, was übrigbleibt, an der Börse. Unsere Strategie ist recht einfach: Wir investieren nur in breit angelegte Index-ETFs. Das ist der einzige Zeitpunkt im Monat, an dem ich mich in mein Brokerkonto einlogge. Wir haben alle unsere Ausgaben der letzten 10 Jahre aufgezeichnet. Das hilft uns, Trends zu erkennen und zu optimieren.
Natürlich gibt es einige allgemeine Tipps, die wir zu befolgen versuchen. Wir neigen dazu, Dinge vor dem Kauf online zu vergleichen. Wir verwenden eine Kreditkarte, um ein wenig Cashback zu erhalten. Ich versuche regelmässig, alle wiederkehrenden Rechnungen (Strom, Krankenversicherung, Miete usw.) zu überprüfen und zu optimieren. Zum Beispiel wechseln wir alle zwei Jahre unsere Krankenversicherung. Und wir protokollieren unseren Stromverbrauch, um ihn zu senken oder ihn eher zu Zeiten mit günstigeren Tarifen zu verbrauchen. Wir kaufen Lebensmittel hauptsächlich bei Lidl und in grossen Mengen bei Aligro. Aber wir versuchen, vernünftig zu bleiben und das Leben zu geniessen.»
Wie beeinflusst FIRE Ihren und den Lebensstil Ihrer Familie?
«Ich glaube nicht, dass es uns sehr beeinflusst. Wir denken mehr über Geld nach als andere Menschen, aber wir leben nicht besonders sparsam. Wir haben ein schönes Haus, machen Urlaub und essen gut (obwohl wir meistens zu Hause essen).
Ich habe derzeit einen Vollzeitjob als Ingenieur, neben dem ich noch den Nebenjob als Finanzblogger habe. Meine Frau ist ebenfalls Mitarbeiterin des Blogs (derzeit ihr einziges Einkommen). Sobald wir finanziell unabhängig sind, möchte ich meinen Vollzeitjob aufgeben, aber ich werde wahrscheinlich den Nebenjob behalten, sodass ich wahrscheinlich eine Art FIRE mit geringerem Nettovermögen erreichen kann.»
Sie warnen vor einer «Inflation des Lebensstils». Was bedeutet das?
«Der Anstieg des Lebensstandards ist eine grosse Falle. Wenn unser Einkommen steigt, neigen wir dazu, auch unsere Ausgaben zu erhöhen, anstatt mehr zu sparen. Daher haben viele Menschen mit einem hohen Gehalt kein positives Nettovermögen. Ein Problem ist, dass die Menschen langfristige Kosten nicht berücksichtigen. Ein Luxusauto verursacht beispielsweise höhere Kraftstoff- und Wartungskosten, und ein Swimmingpool erhöht die Wasser- und Stromkosten. Schliesslich denken die Menschen auch nicht an Steuern. Wenn sie also 1000 CHF pro Jahr erhalten, neigen sie dazu, 1000 CHF pro Jahr auszugeben. Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass sie zusätzlich 200 CHF an Steuern zahlen müssen.
Wenn wir unser Einkommen erhöhen, sollten wir zuerst unsere Ersparnisse erhöhen und dann unsere Ausgaben, nicht umgekehrt.»
Für junge Leute wird es zusehends schwierig bis unmöglich, in der Schweiz ein Eigenheim zu bauen. Wie haben Sie es geschafft, Hauseigentümer zu werden?
«Wir haben das Geld schnell gespart, indem wir uns auf das Sparen konzentriert haben. Wir haben zwei Jahre lang jeden Monat etwa 50 % unseres Einkommens gespart, um uns die Anzahlung leisten zu können.
Und ich sollte natürlich erwähnen, dass ich nach meiner Promotion zum Doktor der Ingenieurwissenschaften ein höheres Einkommen erzielen konnte. Es ist nicht zu leugnen, dass ein hohes Einkommen sehr hilfreich ist. Aber man sollte das nicht als Ausrede dafür nehmen, kein Geld zu sparen.»
Was machen Sie mit Ihrem Blog «The Poor Swiss» anders und besser als die angestammten Banken?
«Ich versuche, meinen Lesern eine Alternative zu etablierten Banken zu bieten. Heutzutage sind grosse Filialbanken nicht mehr die beste Option, um Geld oder Investitionen zu halten. Es gibt viel bessere Alternativen. In den letzten Jahren haben unabhängige Anbieter die Landschaft der Banken und Broker wirklich verbessert: Neon und Yuh bei digitalen Bankkonten, Finpension und VIAC bei der dritten Säule, Saxo und Swissquote bei Brokerkonten.
Und wenn Sie bereit sind, ausserhalb der Schweiz zu suchen, ist Interactive Brokers ein viel günstigerer Broker als alle Schweizer Broker.
Die Menschen sollten sich bewusst machen, dass ihre Bankberater nicht ihre Freunde sind. Ein Bankberater von X hat ein Interesse daran, nur Produkte von X zu verkaufen. Heutzutage sind Bankberater zu Verkäufern geworden. Daher sollten die Menschen vorsichtig sein, niemandem blind zu vertrauen, und ihre eigenen Recherchen anstellen. Die Menschen sollten ihre eigene Sorgfaltspflicht walten lassen.»
Was macht «The Poor Swiss» besser als andere Finanzblogger?
«Gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas besser mache als andere Blogger. Andererseits mache ich einige Dinge anders. Ich bin sehr analytisch und führe meine eigenen Recherchen und Simulationen durch. Ich möchte alle verfügbaren Daten haben, um Entscheidungen treffen zu können. Nicht nur das, ich möchte auch, dass meine Entscheidungen auf Daten und nicht auf Emotionen basieren.
Viele meiner Leser sagen mir, dass ihnen die Detailgenauigkeit meiner Artikel gefällt. Andere Blogger gehen weniger ins Detail (was für viele andere Leser in Ordnung ist). Ich bin ständig bemüht, meinen Lesern mit guten Artikeln, Daten und Rechnern einen Mehrwert zu bieten. Und ich bin stets bestrebt, meine alten Artikel zu aktualisieren.»
Sie lieben die Schweiz. Warum?
«Die beiden Hauptgründe für mich sind, dass es schön und stabil ist.
Die Schweiz hat viele Berge und Seen, und die Landschaft ist im Allgemeinen wunderschön. Es ist perfekt, um draussen zu sein. Das ist auch der Grund, warum wir in einem kleinen Dorf leben; alles ist friedlich und ruhig.
Und Stabilität ist ebenfalls ein wesentlicher Faktor. Es ist ein grossartiges Land, um Geld zu sparen, wenn man ein angemessenes Einkommen hat. Das Land ist stabil, und Gesetze ändern sich nicht schnell.»
Was ist in der Schweiz zu verbessern?
«Meiner Meinung nach gibt es in der Schweiz zu grosse Unterschiede zwischen den Kantonen. Ein Umzug in einen anderen Kanton könnte beispielsweise unsere Steuern um zwei Drittel reduzieren. Und sogar einige der Regeln sind unterschiedlich.
Ich denke auch, dass sich manche Dinge weiterentwickeln müssen. In der Schweiz ändern wir uns nur sehr langsam. Das ist sowohl gut als auch schlecht. Beispielsweise benachteiligen wir immer noch verheiratete Paare. Im Jahr 2025 ist das eine Schande. Und als Hausbesitzer ist es ärgerlich, dass man sonntags oder an Feiertagen nicht mähen darf.
Um beim Thema zu bleiben: Finanzielle Bildung muss in der Schule vermittelt werden. Die Schweizer sind finanziell nicht gebildet (eine Schande im «Land der Banken»). Sie vertrauen im Grunde genommen ihren Bankern und recherchieren nichts weiter. Ich war früher auch so. Ich denke, den Schweizern würde es besser gehen, wenn sie in der Schule eine angemessene finanzielle Bildung erhielten.»
Sie machen bald 10 Jahre FIRE mit Ihrem Finanzblog «The Poor Swiss». Inwieweit tragen Sie immer noch inneres Feuer für FIRE?
«Ich wusste immer, dass FIRE ein langfristiges Unterfangen ist. Deshalb versuche ich, nicht zu sehr auf die fernen Ziele zu schauen. Ich weiß auch, dass das, was wir für FIRE tun müssen, auch unserem finanziellen Wohlergehen zugutekommt. Für FIRE zu arbeiten bedeutet also, für unser finanzielles Wohlergehen zu arbeiten.
Aber natürlich gibt es Tage, an denen es entmutigend ist, auf das weit entfernte Ziel von FIRE in mehr als 10 Jahren zu blicken. Das ist nur menschlich. Nach einer Weile vergeht dieses Gefühl wieder, und dann versuche ich, an die Freiheit zu denken, die es mir bringen wird.
Was die Motivation für den Blog selbst angeht, so bekomme ich sie durch das Lesen von Kommentaren und E-Mails von Menschen, denen der Blog geholfen hat, und das hält mich am Laufen.»
SICHTWEISENSCHWEIZ.CH dankt Baptiste Wicht für das Interview.
Hinweis: Kapitalanlagen bergen Risiken. Dieses Interview stellt keine Finanzberatung dar.
Kurzporträt Baptiste Wicht alias «The Poor Swiss»

Nebenbei lese ich viele Romane, beschäftige mich mit Holzarbeiten und spiele Videospiele, wenn ich Zeit dafür habe. Ich bin ein gut organisierter Mensch, der gerne Routinen folgt und sich an Pläne hält.»
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