Das Bakelit der Zimmermanns: Ein Ehepaar, eine Sammlung und ein Material der 1000 Möglichkeiten

Über 10‘000 Gegenstände aus Bakelit nennen Jörg und Manon Zimmermann ihr Eigen. Wenn man bedenkt, dass fast alle Alltagsgegenstände zwischen 1906 und 1966 aus Bakelit bestanden oder grosse Anteile an Bakelit besassen, kann man Jörg Zimmermann tatsächlich als den «Herrn der Dinge» oder eben «Mr. Bakelit» bezeichnen.


Bakelit – ein vergessener Werkstoff

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts darf man nämlich mit Fug und Recht als «Ära des Bakelits» bezeichnen. Viele Menschen wissen heute gar nicht mehr, was Bakelit ist. Es ist der Markenname für den ersten vollsynthetischen und industriell hergestellten Kunststoff, der 1905/1906 vom Belgier Leo Hendrik Baekeland entwickelt wurde.


Bakelit oder Bakelite ist ein duroplastischer Phenoplast auf Basis von Phenol und Formaldehyd. Dieser Kunststoff wurde durch Heisspressen und Vernetzung in Formen gehärtet. Ausgangsstoff war ein Granulat.

Bakelit prägte das Design zwischen Jugendstil und den frühen 1960er Jahren stark.

Charakteristisch für das Material Bakelit sind seine hervorragenden Wärme- und elektrische Isolationsfähigkeit, hohe Formstabilität und Beständigkeit gegen Chemikalien. Als «Material der tausend Möglichkeiten» kam Bakelit nicht nur bei Industrie- und Alltagsgegenständen zur Anwendung, sondern auch etwa im Schmuckbereich.


Bakelit-Museum in Breitenbach

Seit 2022 befindet sich das Bakelit-Museum der Zimmermanns in der Kunststoff-Fabrik BRAC in Breitenbach, wo seit 1928 Bakelit-Teile für Industrie und Haushalt produziert wurden.

Kurator Jörg Josef Zimmermann sammelt mit seiner Frau Manon seit 1985 Bakelit-Gegenstände in aller Welt und zeigt einen Drittel davon in der themenbezogenen Teilausstellung in einem Raum von 160 m2. Es ist die weltweit umfangreichste und wohl auch repräsentativste Bakelit-Sammlung und deshalb von eminenter kulturhistorischer Bedeutung. Das Ziel ist, die Sammlung dauerhaft zu erhalten, wobei der Versuch, potente Geldgeber für eine Stiftung zu finden, bislang leider gescheitert ist.

Die einzigartige Sammlung von originalen Objekten lohnt einen Besuch in Breitenbach (SO) auf jeden Fall. Zunächst ist es Nostalgie pur, denn wer noch in den 50er und 60er Jahren aufgewachsen ist, fühlt sich zeitlich zurückversetzt. Aber auch Liebhaber der Designgeschichte kommen auf ihre Rechnung: Jugendstil, Art Deco und Streamline-Design – alles ist hier vorhanden. Nicht zuletzt spiegelt das Museum den Alltag einer ganzen Ära und ist von grossem kulturgeschichtlichem Wert für kommende Generationen.


Kein Revival in Sicht

Die Ära des Bakelits ist definitiv vorbei. Das Material ist spröde und schwer zu recyceln; dazu ist die Verarbeitung komplizierter als bei modernen Thermoplasten. Trotzdem gibt es noch einige spezifische Anwendungsbereiche, in denen Bakelit eingesetzt wird: als Isoliermaterial für bestimmte Steckdosen, Schalter und auch Schaltkästen sowie Verteilergehäuse. Bei Restaurationen von Oldtimern und Retro-Design kommt Bakelit ebenso zur Anwendung.

Bei bestimmten Industriegriffen oder Maschinenteilen kommt Bakelit aufgrund seiner Härte, Formbeständigkeit und Temperaturresistenz zum Einsatz, ebenso bei Musikinstrumenten (Gitarren-Pickups, Schalterknöpfe, Plattenspielzubehör). Aufgrund seiner Brüchigkeit wird Bakelit kaum mehr für Schmuck verwendet. Dafür brauchen moderne Designer gerne «Neo-Bakelit», der dem Bakelit-Look nachempfunden ist. Viele Designer greifen bewusst auf den Retro-Stil der 1930er bis 1950er Jahre zurück. Echter Vintage-Bakelitschmuck ist begehrt und teilweise sehr teuer. Bakelit-inspirierte Marken sind Splendette, RockLove Jewelry oder Rosie Fox.



Kurzporträt «Mr. Bakelit» Jörg Josef Zimmermann
Als der 1947 in Zug geborene Jörg Josef Zimmermann 1963 seine Lehre als Dekorateur im Warenhaus Nordmann Zug abschloss, ahnte er noch nicht, dass er dereinst zum «Mr. Bakelit» der Schweiz werden würde. Von 1967 bis 1968 arbeitete Zimmermann als Dekorateur bei Globus Zürich, danach bis 1974 als Chefdekorateur bei Coop Liestal. Aus seiner ersten Ehe ging ein Sohn hervor, der aber schon früh starb. 1979 machte sich Zimmermann selbstständig mit Werbeaufträgen, Messebauten, Events, Schaufenster-Einbauten usw. 1986 heiratete er seine heutige Frau Manon, die als Sekundarlehrerin arbeitete. Die beiden begannen sich für den Grundstoff Bakelit zu interessieren. Und damit war der Grundstein für eine einmalige Sammlung gelegt. Heute lebt das Ehepaar in einem modernen Haus am Rhein in Riehen (BS), dessen modernes Interieur von Geschmack und Stilsicherheit zeugt.


Das Bakelit-Museum Breitenbach
Bakelit-Museum Breitenbach, Passwangstrasse 35-4, 4226 Breitenbach. Öffnungszeiten: Sa und So 14.00 bis 17.00 Uhr (siehe jeweils sicherheitshalber unter Bakelitmuseum bei Google); auf Wunsch Führungen unter der Woche. Auch Apéros sind möglich. Eintritt: CHF 5 pro Person; Führungen ab 5 Personen: CHF 150.00.
Webseite: www.bakelit.ch; E-mail: jjzimmermann@me.com; Telefon: 079 / 321 51 65.


Kurzporträt Thomas Brunnschweiler
Thomas Brunnschweiler, *1954, studierte Germanistik und Theologie an der Universität Zürich und promovierte zum Thema «Die Theaterfeindlichkeit im Alten Zürich». Er ist Mitherausgeber der Schriften Zwinglis, Autor mehrerer Bücher (u.a. der Roman «Die Zwischengängerin»), Kulturjournalist, Publizist und Mitglied der «Autoren/innen der Schweiz». Seine Lieblingsthemen sind Anagramme und Cigarren. Heute lebt er im Schwarzbubenland (SO).

Bildnachweis: Fotos Thomas Brunnschweiler, Haartrockner Solis, Tischfernsprecher Siemens.



Service: Einige Einblicke laden zum Besuch des Museums

Mit «Mr. Bakelit» Jörg Josef Zimmermann verwandeln sich Sammlerstücke aus Bakelit in faszinierende Geschichten – unterhaltsam und lehrreich zugleich.


Picknick-Freuden mit Bakelit-Geschirr


Bakelit-Ventilator und diverse Uhren aus Bakelit


Haartrockner Solis 1958


Der erste Haushaltmixer: Turmix Original


Weisse Bakelit-Dose nach einem Entwurf von Eduard Fornells, um 1920


Jörg Josef Zimmermann mit einem seiner Lieblingsstücke, einer Thermoskanne von Philips.

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