Swiss History-Charts by Hanspeter Amstutz

Verkehrsachsen am Gotthard: Im Herzen Europas


Mit Hanspeter Amstutz wird Geschichte lebendig – ob Sie nun zügig von Chart zu Chart surfen oder bei einigen oder gar allen 99 Charts die Texte zur Erläuterung und Vertiefung lesen. Sie entscheiden. Beides ist möglich. Beides bringt Ihnen die Erfolgsgeschichte der Gotthardbahn und des Gotthardtunnels näher.


Die Realisierung des Gotthardprojekt von 1882 bildet den Höhepunkt der Schweizer Eisenbahngeschichte des 19. Jahrhunderts. Die Gotthardbahn rückt das Schweizer Unternehmertum ins beste Licht. Der Gotthardtunnel ist für Tausende von italienischen Mineuren ein ehrwürdiges Denkmal. Die Schweiz hat mit dem Bau der Gotthardbahn bewiesen, dass sie in Zusammenarbeit mit dem benachbarten Ausland zu ausserordentlichen Leistungen fähig ist. Ihre europäische Funktion als verlässliche Hüterin der Alpenpässe hat die Schweiz damit unter Beweis gestellt.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Eisenbahn hat die Schweiz grundlegend verändert und die Industrialisierung stark gefördert
  • Der Bau des Gotthardtunnels ist der Höhepunkt der Schweizer Eisenbahngeschichte des 19. Jahrhunderts
  • Mit Alfred Escher hat eine ausserordentlich starke Unternehmerpersönlichkeit die Geschichte des Schweizer Eisenbahnbaus geprägt
  • Trotz der grossen technischen, finanziellen und politischen Herausforderungen wurde das Gotthardprojekt in der sehr kurzen Bauzeit von zehn Jahren realisiert
  • Die grossartige Erfolgsgeschichte der Gotthardbahn wird mit dem neuen Basistunnel im 21. Jahrhundert fortgesetzt


Warm-up: 12 Thesen zur Erfolgsgeschichte der Gotthardbahn

Was bringen Erkenntnisse zur Schweizer Geschichte, wenn sie zwar gelesen, jedoch nicht mit anderen Menschen geteilt und ausgetauscht, diskutiert und debattiert werden? Die 12 Thesen regen das Gespräch in der Familie, mit Freunden, in der Firma an. Wo sind Sie dagegen, wo dafür? Mit welchen Analysen und Argumenten?

  1. Die Verkehrsverbindungen aus der Deutschschweiz ins Tessin waren stets ausgezeichnet.
  2. Die Bündner haben den Kampf um den ersten Schweizer Alpendurchstich verloren.
  3. Alfred Escher war der richtige Mann an der Spitze der Gotthardbahngesellschaft.
  4. Alfred Escher war ein Machtmensch, der überall seine Hand im Spiel hatte.
  5. Der Bau der Gotthardbahn wurde zu 100 Prozent von privaten Geldgebern finanziert.
  6. Um Kosten für die teuren Zufahrtsrampen zu sparen, hätte man schon im 19. Jh. eine Flachbahn mit einem langen Basistunnel bauen sollen.
  7. Louis Favre war während des Tunnelbaus mit grossen Herausforderungen konfrontiert.
  8. Die wahren Helden des Tunnelbaus waren die Mineure.
  9. Die Arbeitsbedingungen im Tunnel waren erstaunlich gut und der Schutz der Arbeiter bis hin zum Krankheitsfall ausgezeichnet.
  10. Bei der Einweihung des Gotthardtunnels wurden Escher und Favre als Helden gefeiert.
  11. Beim Gotthard-Basistunnel wurden aus Sicherheitsgründen zwei Tunnelröhren gebaut.
  12. Die Schweiz hat mit den beiden langen Alpentunnels einen grossen Beitrag für den umweltfreundlichen Schienenverkehr zwischen Deutschland und Italien geleistet.


Seit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels ist das Tessin der Deutschschweiz näher gerückt. Die neue Flachbahn ist der Grund, dass das malerische Ascona am Lago Maggiore (Bild) schneller erreicht wird. Die schnelle Bahnstrecke durch den Gotthard-Basistunnel verkürzt den Weg ins Tessin enorm.


Seit der Eröffnung des gut 15km langen Ceneri-Basistunnels im Jahr 2020 kann man in knapp zwei Stunden von Zürich nach Lugano fahren. Es fährt nun jede halbe Stunde einen Schnellzug in den Süden. Wer aber die grandiose Landschaft am Gotthard geniessen will, kann nach wie vor über die längere Bergstrecke fahren. Es verkehren dort sogar Züge mit Panoramawagen.


Die schnelle Verbindung in den Süden ist nur möglich, weil wir durch den längsten Eisenbahntunnel der Welt auf einer Flachbahn die Alpen unterqueren können. Im Tunnel können die Schnellzüge mit 200km/h nach Süden brausen. In nur zwanzig Minuten wird die 57km lange Tunnelstrecke passiert und schon befindet man sich im oberen Tessin. Als Zugpassagiere denken wir kaum daran, wie schwierig es früher war, die Alpen zu überqueren.


Die Alpen bilden einen natürlichen Sperrriegel, der Italien und den südlichen Balkan vom übrigen Europa trennt. Schon zur Römerzeit gab es mehrere Alpenpässe (z. B. Julier). Doch diese Übergänge waren im Winter unpassierbar.


Für das Tessin (T) und die Bündner Südtäler (S) war die Verbindung zur Deutschschweiz im Winter unterbrochen. Mailand war dann für die Tessiner viel näher als Luzern oder Zürich. Als es technisch machbar war, forderten die Tessiner deshalb energisch eine wintersichere Verbindung zur Deutschschweiz. Heute kann dank mehrerer wintersicherer Passstrassen (Autotunnels und teils Schneeräumung) sowie dreier Bahnlinien (Simplon, Gotthard, Bernina) die Verbindung zum Tessin und in die Bündner Südtäler auch im Winter aufrechterhalten werden.


Der Austausch von Gütern über die Alpen war früher sehr beschwerlich. Für Wagen waren die schmalen Wege bis zur Eröffnung der ersten ausgebauten Gotthard-Passstrasse im Jahr 1830 nicht befahrbar. Gewürze aus dem Hafen von Genua oder Glaswaren aus Venedig wurden mit Säumerkolonnen über die gefährlichen Strassen transportiert. Die Maultiere konnten aber nur eine begrenzte Last tragen. Für die Urner Saumtiertreiber (Säumer) war der gefährliche Warentransport über den Gotthard ein lohnendes Geschäft. Die Reise vom Tessin über die Alpen dauerte mehrere Tage. Auf der Passhöhe bestand die Möglichkeit, im Gotthard-Hospiz zu übernachten. Im Tal unten übernahmen Fuhrwerke die Waren und transportierten sie bis zur Schiffstation in Flüelen.


Lange Zeit galt eine Überquerung der Alpen mit der Eisenbahn oder der Bau längerer Bahntunnels als technisch kaum durchführbar. Doch die Technik blieb nicht stehen. Franzosen und Italiener dachten schon lange an eine Verbindung zwischen Turin und Lyon. 1857 beschliessen sie, mit dem Bau eines langen Eisenbahntunnels durch den Mont Cenis zu beginnen. Die Bauzeit wird auf rund dreissig Jahren geschätzt! Auch am österreichischen Brenner wird an einem Tunnel gebaut, der das Südtirol mit Insbruck verbinden soll. Wenn die Projekte gelingen, droht die Schweiz von zwei grossen Alpenbahnen umfahren zu werden. Es ist Zeit, dass man sich an ein eigenes Projekt wagt. Die Frage ist nur, wo und wie diese Bahnverbindung gebaut werden soll.


1857 wurde mit dem Bau des Mont Cenis-Tunnels zwischen Frankreich und Italien begonnen. Noch nie war ein so langer Tunnelbau jemals gewagt worden. Beim Vortrieb des Richtstollens kam man in den ersten Jahren nur sehr langsam vorwärts. Wird dieser Tunnel überhaupt fertiggestellt werden können? In der Schweiz wurde heftig diskutiert, wo man eine Alpenbahn bauen könnte. Zwei Projekte standen im Vordergrund: Der Gotthard und der Lukmanier. Die geschätzte Bauzeit von dreissig Jahren beim Mont Cenis-Tunnel machte die Anhänger des gigantischen Gotthardprojekts unsicher und gab den Befürwortern einer Lukmanier-Überquerung Auftrieb.


Einer Bahn über den Lukmanierpass gibt man anfänglich mehr Chancen als der Gotthardbahn. Das Lukmanierprojekt hat den Vorteil, dass es keinen langen Tunnel benötigt (kurzer Scheiteltunnel nahe der Passhöhe). Die Zufahrten zum Pass sind jedoch sehr lang und der Höhenunterschied vom Tal bis zum Scheiteltunnel beträchtlich. Die Bündner und die Ostschweizer setzen sich energisch für das Lukmanierprojekt ein. Die Vereinigten Schweizer Bahnen, welche in der Ostschweiz beheimatet sind, bauen ihr Bahnnetz im Hinblick auf eine Alpenbahn in Graubünden systematisch aus. Alfred Escher ist anfänglich auch für den Lukmanier, aber er zögert noch. Eigentlich wäre ihm ein Tunnel durch den Gotthard lieber. Aber kann ein solcher Tunnel überhaupt verwirklicht werden?


Zum Glück bringen zwei entscheidende technische Neuerungen die Wende: Mit Druckluft betriebene Bohrmaschinen können die meterlangen Sprenglöcher schneller bohren. Und die in die Löcher eingefüllten wirkungsvolleren Dynamitladungen können zuverlässig mit elektrischen Zündern zur Explosion gebracht werden. Der Tunnelbau kommt jetzt rascher voran. Die Bauzeit für den Mont Cenis Tunnel kann so mehr als halbiert werden. Die Befürworter des Gotthardprojekts fassen wieder Mut. Escher ist entschlossen, das Gotthardprojekt voranzutreiben. Er ist überzeugt, dass das Projekt gelingen wird. Aber die Aufgabe ist gewaltig, da neben den technischen Herausforderungen auch die Finanzierung überhaupt noch nicht gesichert ist.


Das kühne Gotthardprojekt sieht vor, einen 15 km langen Scheiteltunnel zwischen Göschenen und Airolo zu bauen. Noch nicht klar ist, wie die beiden steilen Zufahrtsrampen überwunden werden können. Eine Zahnradbahn wird abgelehnt, da diese Lösung nicht überzeugt. Aber wie kann die Steigung so weit verringert werden, dass die Lokomotiven die Steigung bewältigen können? Zur Illustration: Eine Fahrt über den Gotthardpass ist nur für Pferdekutschen möglich.


Seit 1830 können Postkutschen im Sommerhalbjahr von Flüelen bis Bellinzona über den Gotthardpass fahren. Das Gemälde von Rudolf Koller zeigt eine dreispännige Postkutsche bei der Abfahrt in den steilen Kurven der Tremola. Diese führt von der Passhöhe bis ins Dorf Airolo hinunter.


Der wohl gefährlichste Teil des Gotthardwegs war lange Zeit der Weg durch die wilde Schöllenenschlucht von Göschenen nach Andermatt. Im Mittelalter führte ein an Ketten aufgehängter Holzsteg durch die tiefe Schlucht. Dieser wurde „stiebender Steg“ genannt. Um den abenteuerlichen Weg auf dem Holzsteg umgehen zu können, wurde 1708 ein 64m langer enger Tunnel in den Chilchbergfelsen (rechts im Bild) gebaut. Dieser als „Urnerloch“ bezeichnete Tunnel war jedoch nur so hoch, dass die Saumtiere das finstere Loch gerade noch passieren konnten. Erst dank der späteren Vergrösserung des Urnerlochs konnte die Strasse für Postkutschen fahrbar gemacht werden. Dieser Ausbau war Voraussetzung für die sichere Zufahrt zur 1830 eröffneten Gotthard-Passstrasse.


Lange Fahrten in einer Kutsche mit eisenbeschlagenen Rädern waren eine ziemlich holprige Angelegenheit. Aber man war wenigstens schneller als zu Fuss. Die abgebildete Kutsche der Gotthardpost steht vor dem Landesmuseum in Zürich.


Es geht wieder einen Schritt vorwärts beim Gotthardprojekt. Für die Überwindung der Steigungen auf den Gotthardrampen bietet Robert Gerwig eine überzeugende Lösung an. Als Ingenieur bei der Schwarzwaldbahn ist es ihm gelungen, die Fahrstrecke der Bahn durch Kehrtunnels so weit zu verlängern, dass die Steigungen für Lokomotiven zu bewältigen sind. Jetzt gilt es, das Gelände im Reusstal und in der Leventina genau zu vermessen.


Die Anhänger des Gotthardprojekts beauftragen eine Gruppe von Vermessungstechnikern und Geologen, das Gelände am Gotthard zu erkundigen und genau zu vermessen. Die Gruppe arbeitet hart bei Wind und Wetter. Alles muss genau stimmen, damit die Ingenieure den Verlauf der Bahntrassen richtig festlegen können. Die Geologen haben die Aufgabe, im Tunnelbereich des Gotthards Gesteinsproben zu sammeln und ein geologisches Profil des Gotthardmassivs zu erstellen.


Aufgrund der Geländeformen entwirft Robert Gerwig einen Plan für die Kehrtunnels auf der Nordrampe. Spektakulär sind die beiden Kehrtunnels bei Wassen. Vom Tal her kommend sieht man vom Zug aus die Kirche von Wassen ein erstes Mal. Dann wendet der Zug im Wattinger-Kehrtunnel und fährt auf der Höhe der Kirche ein zweites Mal an ihr vorbei. Im folgenden Mühlen-Kehrtunnel dreht die Bahn wieder in die Gegenrichtung, sodass man die Kirche von weiter oben ein drittes Mal sieht. Während der ganzen Fahrt auf der Nordrampe beträgt die Steigung nie mehr als 25 Promille. Ähnliche Kehrtunnels befinden sich auf der Südseite des Gotthardtunnels, wo ein noch grösserer Höhenunterschied überwunden werden muss.


Ende der 1860er-Jahre zeichnet sich ab, dass eine Eisenbahn durch den Gotthard technisch machbar ist. Doch es stellen sich viele Fragen: Wer bezahlt das grosse Projekt? Beteiligt sich der Bund am Vorhaben oder muss alles Geld von Privaten aufgebracht werden? Wie kann man die einflussreichen Leute im In- und Ausland überzeugen, dass eine Bahn durch den Gotthard besser ist als das Lukmanierprojekt? Wie stehen Italien und Deutschland zum Gotthardprojekt? Wird man es überhaupt schaffen, durch das harte Granitgestein in vernünftiger Zeit einen 15km langen Tunnel zu bauen? Wer ist bereit, das Risiko zu übernehmen und die Leitung des Gotthardprojekts zu übernehmen? – Eigentlich ist allen klar, dass für diese Aufgabe nur eine Persönlichkeit von aussergewöhnlicher Tatkraft infrage kommen kann. Doch gab es überhaupt jemanden, der bereit war, diese Verantwortung auf sich zu nehmen?


Im Gegensatz zu den Zufahrtsrampen ist der Tunnel durch den Gotthard von Anfang an zweispurig geplant worden. Einen einspurigen Betrieb auf einer 15km langen Tunnelstrecke erachtete man als zu gefährlich. Zudem ist die Durchlüftung bei einem Doppelspurtunnel deutlich besser. Das ist bei einem Betrieb mit rauchenden Dampflokomotiven von einiger Bedeutung. Das Bild zeigt den mit Steinquadern ausgemauerten Doppelspurtunnel im heutigen Zustand. Die Ausmauerung ist an gewissen Stellen mit hohem Bergdruck mehr als einen halben Meter dick. Seitlich befinden sich alle paar hundert Meter kleine Nischen, bei denen die Streckenwärter hineingehen können, wenn ein Zug naht. Im Gotthardtunnel sind heute auch zwei Spurwechsel mit je zwei Weichen eingebaut. Dies ermöglicht das Überholen eines langsameren Zuges, sofern das Gleis in der Gegenrichtung frei ist.


Im Gegensatz zu den Zufahrtsrampen ist der Tunnel durch den Gotthard von Anfang an zweispurig geplant worden. Einen einspurigen Betrieb auf einer 15km langen Tunnelstrecke erachtete man als zu gefährlich. Zudem ist die Durchlüftung bei einem Doppelspurtunnel deutlich besser. Das ist bei einem Betrieb mit rauchenden Dampflokomotiven von einiger Bedeutung. Das Bild zeigt den mit Steinquadern ausgemauerten Doppelspurtunnel im heutigen Zustand. Die Ausmauerung ist an gewissen Stellen mit hohem Bergdruck mehr als einen halben Meter dick. Seitlich befinden sich alle paar hundert Meter kleine Nischen, bei denen die Streckenwärter hineingehen können, wenn ein Zug naht. Im Gotthardtunnel sind heute auch zwei Spurwechsel mit je zwei Weichen eingebaut. Dies ermöglicht das Überholen eines langsameren Zuges, sofern das Gleis in der Gegenrichtung frei ist.


Es ist fast unglaublich, was Alfred Escher alles leistet. Neben seinen politischen Ämtern und der Leitung der Nordostbahn kommt jetzt das Vollamt des Direktionspräsidenten der Gotthardbahn dazu. Eschers Tag müsste eigentlich 24 Stunden haben. Wir wissen, dass er mindestens zwölf Stunden pro Tag gearbeitet hat und kaum Rücksicht auf seine Gesundheit nahm. Obwohl sich der Hauptsitz der Gotthardbahn AG in Luzern befindet, arbeitet Escher meistens in seinem Büro im Südflügel des Hauptbahnhofs in Zürich. Hier ist es ihm am wohlsten. Regelmässig fährt er nach Luzern zu den übrigen Mitgliedern des Direktoriums, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Für seine Reisen stellt ihm die Nordostbahn einen Erstklasswagen mit Arbeitsplatz zur Verfügung.


Rund um unser Land sind lauter Kaiser und Könige, die ihre grossen Länder regieren. Diese Fürsten blicken eher verächtlich auf die kleine Schweiz, die sich weigert, von einem König regiert zu werden. Wie kann denn nur ein Land von einem siebenköpfigen Bundesrat regiert werden? Seit der Modernisierung der Schweiz mit ihren demokratischen Volksrechten wird unser Land von den Fürsten eher misstrauisch beobachtet. Sie sehen es gar nicht gern, dass viele Revolutionäre bei uns Unterschlupf gefunden haben. Es trifft tatsächlich zu, dass an den Schweizer Universitäten viele deutsche Liberale, die aus ihrer Heimat vor den Fürsten fliehen mussten, eine Stelle als Professor gefunden haben. Escher unternimmt alles, um den Fürsten zu beweisen, dass unser Land imstande ist, das ehrgeizige Projekt des Gotthardtunnels zu verwirklichen. Er schreibt unzählige Briefe an die Fürstenhöfe und spricht immer wieder mit den fürstlichen Diplomaten. – Hinweis: Die Folie mit dem Bundesrat zeigt die Situation um 1850. Wichtige Veränderungen nach 1850 in unseren Nachbarländern: Italien vergrössert sein Staatsgebiet auf Kosten von Österreich-Ungarn. Die süddeutschen Königreiche werden1871 ins neue Deutsche Reich integriert. Napoleon III. dankt 1871 als Kaiser ab, Frankreich wird eine Republik.


Alfred Escher gelingt es, das neue Königreich Italien und das neue Deutsche Kaiserreich für das Gotthardprojekt zu gewinnen. Beide Staaten sind an einem regen Güteraustausch über den Gotthard sehr interessiert. Beide Monarchien sind auch bereit, das Gotthardprojekt mit namhaften Beiträgen zu unterstützen.


1871 wird der Gotthardvertrag zwischen Deutschland, der Schweiz und Italien unterzeichnet. Die drei Staaten verpflichten sich, zusammen 85 Millionen Franken an den Bau der Gotthardbahn zu bezahlen. Da das Projekt auf insgesamt 180 Millionen Franken veranschlagt wird, muss Escher dafür sorgen, dass Private den grossen Rest aufbringen. Es fällt auf, dass Italien mehr als doppelt so viel an die Gotthardbahn bezahlt wie die Schweiz und Deutschland. Für Italien ist die Verbindung über den Gotthard ausserordentlich wichtig, da die alternative Route über den Brenner viel weiter weg ist und im feindlichen Österreich-Ungarn liegt.


Escher wickelt die Geldgeschäfte vor allem über die von ihm gegründete Kreditanstalt (Crédit Suisse) ab. Die Bank organisiert den Handel mit Aktien der Gotthardbahn. Wer genug Geld hat, kann sich Aktien der Gotthardbahn kaufen. Der Verkauf dieser Wertpapiere läuft recht gut, da sich viele vermögende Leute erhoffen, dass die Bahn später gross rentieren werde. Viele glauben, sie könnten dann die Aktien zu einem höheren Preis an der Börse verkaufen. So wird man schnell reich. Wird diese Rechnung wohl aufgehen?
Nachdem das Finanzielle geregelt ist, geht es um die Ausführung des grossen Projekts. Die Gotthardbahn sucht in Inseraten einen geeigneten Unternehmer für den Bau des Tunnels und der Zufahrten. Auf die Stellenausschreibung melden sich fünf ernsthafte Kandidaten. Nach Gesprächen mit der Direktion der Gotthardbahn bleiben noch zwei Kandidaten, die für die grosse Aufgabe infrage kommen. Der erste der beiden scheint beste Karten zu haben. Er kann als Leistungsausweis vorbringen, dass er vor Kurzem (1871) als Bauunternehmer den Mont Cenis-Tunnel in kürzerer Zeit als vorgesehen vollendet hat. Er offeriert den Gotthardtunnel in neun Jahren fertigzustellen. Der zweite ist der junge Genfer Bauunternehmer Louis Favre. Er strahlt grossen Optimismus aus, hat aber keine Erfahrung im Bau von längeren Tunnels. Um seinen Konkurrenten zu schlagen, unterbietet Favre den Preis um acht Millionen und gibt an, den Tunnel in bereits acht Jahren vollenden zu können. Für den Bau der beiden Zufahrtsrampen schlägt Favre vor, mit Robert Gerwig zusammenzuarbeiten. Escher macht Favre darauf aufmerksam, dass er mit jedem Tag Verspätung eine hohe Busse bezahlen müsse und bei einer längeren Verspätung sein ganzes Vermögen verlieren werde. Favre bleibt unerschütterlich, er will den Auftrag unbedingt. Die Haltung imponiert Alfred Escher. Favre erhält den Auftrag, den Tunnel zu bauen.


Da 1871 der Mont Cenis-Tunnel fertig gebaut ist, bietet sich den italienischen Mineuren die Gelegenheit, am Gotthard wieder eine Stelle zu finden. Die allermeisten Mineure kommen aus Norditalien. Nur wenige nehmen ihre Familien nach Göschenen oder Airolo mit und erhalten eine einigermassen passable Unterkunft. Diese werden von Louis Favres Firma gebaut. Die Mehrzahl der Mineure wird in stinkenden Baracken untergebracht oder findet in einer Bretterbude einen Unterschlupf. Aber sie alle sind fleissig, halten bei der harten Arbeit zusammen und legen meist das wenige Geld, das ihnen übrig bleibt, auf die Seite. Sie hoffen, mit ein paar hundert Franken am Ende nach Hause zurückkehren zu können.


Im Herbst 1872 geht es mit dem Bau des Gotthardtunnels los. Es geht mühsamer voran, als es sich die Mineure vom Mont Cenis her gewöhnt sind. Der harte Granitfelsen des Gotthards ist für die veralteten Bohrmaschinen, übernommen vom Bauunternehmen des Mont Cenis, nur schwer zu durchbohren. Ende 1872 hat der Tunnel (Richtstollen) auf der Nordseite erst eine Länge von 100m und ist noch nicht ausgemauert. Diese Vortriebsleistung ist viel zu klein, um den Tunnel in acht Jahren fertigstellen zu können. Das Bild zeigt die halb herausgebrochene Nordzufahrt zum Tunnel. Das Tunnelportal ist schon ausgemauert.


Favre übernimmt die beim Mont Cenis verwendeten alten Tunnelbohrmaschinen, um Kosten zu sparen. Doch die mit Druckluft angetriebenen Bohrmaschinen haben grosse Probleme mit dem harten Granit. Die Bohrhämmer arbeiteten ähnlich wie die heutigen Bohrhämmer im Strassenbau. Die Schlagbohrmaschinen trieben etwa 120cm tiefe Bohrlöcher in den Felsen. Dabei wurden die Bohrmeissel stark abgenützt. Anfänglich mussten drei Maschinen pro Tag ausgewechselt werden, später nur noch eine in drei Tagen. – Zum Ablauf der Arbeiten im Richtstollen (wird später noch erklärt): Die Bohrlöcher werden nach dem Rückzug der Maschinen mit Dynamit gefüllt. Mit elektrischen Zündern wird der Sprengstoff zur Explosion gebracht. Dann erfolgt der Abbau der Gesteinstrümmer von Hand. Das Aushubmaterial wird in Wagen aus dem Tunnel befördert. – Favres Ingenieure arbeiten mit aller Energie an der Verbesserung der Tunnelbohrmaschinen. Die Vortriebsleistung kann so gesteigert werden. Am Ende der Bauzeit ist eine durchschnittliche Vortriebsleistung von 4.5m pro Tag erreicht worden. Heutige Tunnelbohrmaschinen ermöglichen eine tägliche Vortriebsleistung von etwa 18m.


Ganz schlecht läuft es anfänglich auf der Südseite des Tunnels. Die Gesteinsschichten beim Eingang sind instabil und von unterschiedlicher Beschaffenheit (weich, hart). Immer wieder erfolgen starke Wassereinbrüche. Da auf der Südseite zuerst keine Bohrmaschinen eingesetzt werden können, erreicht der Vortrieb von Hand nur etwa 18cm pro Tag. Ende Jahr sind die Mineure erst 18m in den Berg vorgedrungen. Es bessert erst, als auch auf der Südseite die neuen Bohrmaschinen und die Druckluftlokomotiven für den Transport der Wagen zur Verfügung stehen. Das Bild zeigt die primitiven Arbeitsbedingungen aus der Zeit des Baubeginns am Südportal.


Favres Ingenieure arbeiten Tag und Nacht, um die Bohrmaschinen zu verbessern. Die Maschinen werden mit kleinen Lokomotiven an ihren Einsatzort im Tunnel gebracht und nach einiger Zeit durch eine frisch revidierte andere Bohrmaschine ersetzt. Die Einsatzzeit der Maschinen konnte durch technische Verbesserungen gegen Ende der Bauzeit um das Neunfache verlängert werden. Links auf dem Bild sind die Druckluftschläuche zu erkennen, die zu jedem Bohrhammer führen.


Damit nicht viel Zeit mit dem Weg verlorengeht, werden die Mineure auf kleinen Wagen hin- und zurücktransportiert. Das Bild stammt aus der Anfangszeit des Tunnelbaus am Nordportal. Dieses ist vom Rauch bereits geschwärzt. Da die kleinen Dampflokomotiven für den Transport viel Rauch erzeugen und die Arbeit im Tunnel so erschwert wird, suchen die Ingenieure nach einer umweltfreundlicheren Lösung.


Die neuen Druckluftlokomotiven verursachen keinen Rauch, müssen aber immer wieder mit Pressluft gefüllt werden. Auch die Bohrmaschinen benötigen Druckluft in grossen Mengen. Diese wird im Kompressorenhaus in grosse Drucklufttanks gepresst. Die vollen Luftdrucktanks werden mit den kleinen Lokomotiven zu den Bohrmaschinen transportiert und die leeren Behälter wieder aus dem Tunnel zurückgeführt.


Eine rauchfreie Druckluftlokomotive hält im Tunnel. Ein Arbeiter befestigt einen Schlauch am mitgeführten Druckbehälter, um diesen mit komprimierter Luft zu füllen. Ein Hauptproblem bei den Arbeiten im Tunnel ist die völlig ungenügende Beleuchtung. Es gibt noch kein elektrisches Licht. Es erstaunt deshalb nicht, dass es immer wieder zu tragischen Unfällen mit den in fast völliger Dunkelheit verkehrenden Bauzügen kommt. Die Lokomotive besitzt zwar auf der Stirnseite eine Lampe, aber diese leuchtet nicht sehr weit. Ein Drittel aller tödlichen Unfälle beim Bau des Gotthardtunnels ist auf Unfälle mit Tunnelzügen zurückzuführen.


Am Anfang des Tunnelbaus befindet sich neben dem Nordportal eine grosse Baustelle. Das lange Gebäude auf der linken Seite ist das künftige Kompressorenhaus, rechts davon sind zwei Bürohäuser im Bau. Vor den Gebäulichkeiten liegen Rohre für den Bau von Wasserleitungen bereit. Überall an den Abhängen werden Quellen gefasst und Bäche abgeleitet, um den Turbinen im Kompressorenhaus genug Wasser zuführen zu können. Diese stählernen Wasserräder halten die Kompressoren (Luftverdichtungsmaschinen, Pumpen) ständig in Betrieb. Auf dem Vorplatz liegt Baumaterial für den Innenausbau des Tunnels.

Das Bild zeigt die fertig erstellten Gebäulichkeiten vor dem Nordportal unweit der Reuss. Im letzten Haus direkt vor dem Tunneleingang befindet sich Favres Ingenieurbüro.


Favre ist besessen von seiner grossen Aufgabe, den längsten Tunnel der Welt zu erstellen. Er fährt immer wieder in den Tunnel, spricht mit den Mineuren und fragt sie, wo es Schwierigkeiten gibt. Zurück in seinem Büro, zeichnet er auf, wie die Probleme technisch zu bewältigen sind. Sorgen macht ihm der Baurückstand, den er sich bei Baubeginn durch die ungenügenden Bohrmaschinen eingehandelt hat. Dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit seinen Ingenieuren, denen immer wieder technische Verbesserungen gelingen, hofft er, den Rückstand aufholen zu können. Favre drängt die Angestellten und die Mineure immer wieder zur Eile. Er möchte den Richtstollen rasch vorantreiben, auch wenn der nachfolgende Vollausbau (voller Ausbruch und Bau des Tunnelgewölbes) nicht ganz Schritt halten kann. Nur bei den Geometern, welche den Tunnel vermessen, darf er keinen Druck ausüben. Diese verlangen einen rauchfreien Tunnel, wenn sie ihre Messungen vornehmen. Dann müssen die Mineure alle Sprengarbeiten einige Zeit einstellen, damit die Luft einigermassen staubfrei ist. Werden sich die beiden Bautrupps von Norden und Süden genau in der Mitte des Gotthardtunnels treffen oder sich am Ende doch verfehlen?


Ohne seine ausgezeichneten Ingenieure, die sich hier für eine Fotografie bereitstellen, könnte Favre sein grosses Werk nie schaffen. Favres hat auch ein freundschaftliches Verhältnis zu Alfred Escher. Der Direktor schätzt den Optimismus und den Tatendrang des Tunnelbauers.


Die Arbeit der Mineure geschieht nach einem klaren Ablauf, wie er auf dem Chart skizziert ist. Dank der elektrischen Zündung der Sprengkapseln, kann die Explosion des Dynamits kontrolliert ausgelöst werden. Vor einer Sprengung ziehen sich die Mineure ein Stück weit zurück, und warten dort, bis sich nach der Explosion die Sprenggase verzogen haben. Die Arbeit bleibt trotzdem gefährlich, da im Richtstollen immer wieder gelockerte Gesteinsbrocken von der Decke fallen. Der heutige Tunnelvortrieb ist viel sichererer, da die Tunneldecke mit Spritzbeton oder Metallbögen laufend gesichert wird. Einige hundert Meter hinter dem Richtstollen beginnt dann der volle Ausbruch des Tunnelprofils und der Einbau des Tunnelgewölbes.


Die italienischen Mineure sind die wahren Helden des Tunnelbaus. Sie verrichten in einer achtstündigen Arbeitsschicht für bescheidenen Lohn härteste Arbeit bei grosser Hitze im Tunnel. Wie die Zusammenstellung zeigt, bleibt ihnen nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht mehr viel Geld übrig. Auch umgerechnet auf den heutigen Geldwert ist der Nettoverdienst eines Mineurs sehr tief. Die Mineure am Gotthard sind treue Arbeiter, die alles tun, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie halten zusammen und helfen einander bei den Arbeiten im Tunnel. Doch ihre Stimmung leidet unter den misslichen Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Die miserablen Unterkünfte in Göschenen und die vielen Krankheitsfälle und Unglücke gehen nicht spurlos an ihnen vorbei.


Kleinere und grössere Unglücksfälle im Tunnel waren fast täglich zu verzeichnen. Die Statistik zeigt, dass je etwa ein Viertel der Unfälle folgende Ursache hatte: (1) Überfahren werden von Lokomotiven oder Wagen, (2) Erschlagen werden von Felsbrocken, (3) Unfälle beim Transport des hoch explosiven Dynamits, (4) Andere Ursachen und schwere Krankheiten (Wurmerkrankungen, usw.). Schwer erkrankte Mineure wurden meist entlassen und nach Hause geschickt. Die Statistik sagt nichts aus, wie viele von ihnen später an den Folgen von Krankheiten gestorben sind. Eine Krankenversicherung gab es nicht. Manchmal wurde eine kleine Abfindungssumme bezahlt. Die spektakulärsten Unfälle waren sicher die Explosionen von Wagenladungen mit Dynamit auf dem Weg von der Dynamitfabrik am Urnersee zu den Baustellen am Gotthard. Bei Temperaturen über 8 Grad wurde das anfänglich verwendete heikle Dynamit instabil und konnte leicht explodieren.


In einigem Abstand zur Tunnelbrust wird zuerst die Tunneldecke im Richtstollen in Zimmermannsarbeit mit Balken abgestützt und gesichert. Da das Tunnelprofil des Richtstollens zu klein ist, müssen die Mineure das Profil noch erweitern, indem sie weiteren Felsen herausbrechen. Wenn das Profil genug gross ist, geht es um den Bau des Tunnelgewölbes. Dieses wird wie bei steinernen Brückenbögen mit behauenen Steinen erstellt. In den stabilen Bereichen des Gotthardtunnels wird das Gewölbe auf eine Stärke von etwa einem halben Meter ausgemauert (0.4m bis 0.7m). In zwei kurzen Druckzonen des Tunnels mit instabilem Felsen müssen die Maurer ein Gewölbe von bis zu drei Metern Stärke errichten. Die Maurerarbeiten werden erschwert durch mangelhaftes Licht und durch die Hitze, die bis 40 Grad betragen kann. In der Bildmitte oben auf dem Baugerüst sieht man einen Mineur, der mit einem Pickel das Tunnelprofil erweitert.


Ein ganz trauriges Kapitel ist die Unterbringung der Arbeiter in den Bretterhütten in Göschenen. Wer nicht das Glück hat, bei Favres Unternehmung eine Wohnung zu bekommen, muss im Elendsdorf von Göschenen Unterschlupf finden. Oft teilen sich drei Mineure ein Zimmer, in dem nur ein Bett zur Verfügung steht. Da sie in drei Schichten rund um die Uhr arbeiten, kann jeder das Bett während etwa acht Stunden benützen. Die Mineure schlafen meist in den Kleidern. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Es gibt keine Toiletten und das fliessende Wasser funktioniert meist nicht. Überall stinkt es nach Fäkalien und Urin. Im Winter werden die Fenster mit Brettern zugenagelt, um die Kälte etwas abzuhalten. Viele Vermieter nützen die Wohnungsnot aus und verlangen horrende Mieten, obwohl die Zimmer lausig sind.


Das schöne Bild zeigt den Gegensatz zwischen dem freundlichen Luzern und dem Hüttenviertel in Göschenen. In der Leuchtenstadt hat die Gotthardbahndirektion ihren Sitz. Man kann die Soziale Frage beim Bau des Gotthardtunnels nicht ausklammern. Der Preis für das Gelingen des grossen Bauwerks zahlten vor allem die unter schlechten Bedingungen lebenden Mineure.
Theoretisch haben die Mineure neben Arbeit und Schlaf acht Stunden Zeit für Essen und „Freizeit“. Das Bild idealisiert die Situation der Mineure auf schon fast anstössige Weise. Auf den Baustellen am Gotthard waren zeitweise bis zu 2700 Arbeiter im Einsatz. Beim vorliegenden Bild ist eine Kritik dieser fragwürdigen historischen Darstellung wohl am Platz. Es stellen sich einige Fragen: Wie steht es um die Erholung der Mineure? Und was machen die erschöpften Arbeiter in ihrer freien Zeit in einem überfüllten Dorf wie Göschenen?


Im Sommer 1875 kommt es in Göschenen zu einem kurzen und tragischen Streik der Mineure. Die Ursache für die Arbeitsniederlegung ist verständlich: Die Arbeiter weigern sich die Aushubarbeiten fortzusetzen, solange die Gase der Sprengungen noch die Tunnelluft völlig verschmutzen und sie kaum atmen können. Die ganze Hetze mit der vorzeitigen Arbeitsaufnahme ist auf den gestiegenen Zeitdruck zurückzuführen. Die Arbeiter haben das Gefühl, immer mehr ausgenützt zu werden. Sie fordern deshalb für die geforderten Mehrleistungen eine bescheidene Lohnerhöhung von einem Franken pro Tag. Wirklich nichts Unverschämtes! Auf dem Bild (aus einem Theaterstück) kommen die Mineure aus dem verrauchten Tunnel und fordern Verhandlungen mit der Bauleitung. Der verantwortliche Leiter wird nervös und telegrafiert nach Altdorf, um die Polizei zu Hilfe zu rufen. Er ist nicht bereit, mit den Streikenden zu reden. Auf dem Chart sieht man die heilige Barbara. Sie ist die Schutzheilige der Mineure. Sie soll ihnen helfen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden.


Die durch ehemalige Soldaten eilends verstärkte Polizeieinheit aus Altdorf erscheint auf der Baustelle und steht den wütenden Arbeitern gegenüber. Diese merken, dass es keine Verhandlungen gibt und beginnen Steine gegen die Polizei zu werfen. Plötzlich fallen ein paar Schüsse. Drei Mineure werden getötet und mehrere schwer verwundet. Ein vierter stirbt an den Folgen der Schussverletzungen. Die Arbeiter brechen den Streik ab und gehen am andern Tag wieder wie gewohnt in den Tunnel. Aber sie sind bitter enttäuscht, dass man sie überhaupt nicht angehört hat. Doch viele schreiben nach Hause, was in Göschenen geschehen ist. Nach kurzer Zeit erscheinen in den Zeitungen Berichte über den niedergeschlagenen Streik.
In Norditalien ist man empört.


Der italienische König verfolgt schon seit Langem den Fortschritt des Tunnelbaus am Gotthard. Schliesslich bezahlt das Königreich 45 Millionen Franken an das Bauwerk. Als er von der Niederschlagung des Streiks der italienischen Mineure hört, ist auch er empört. Der König verlangt eine genaue Untersuchung der Vorfälle. Jetzt kommt an den Tag, wie misslich die Situation der italienischen Arbeiter in den Unterkünften und beim Lohn ist. Auch der Bundesrat verlangt einen Bericht. Immer mehr Ungereimtes aus Göschenen wird bekannt. Die italienischen und schweizerischen Behörden fordern nun Verbesserungen für die Mineure. Die Bauleitung weiss, was zu tun ist. Im Tunnel wird die Luftqualität durch Lüftungsrohre verbessert. Doch die privaten Vermieter der Unterkünfte ändern kaum etwas.


Einer der initiativen Ingenieure hat eine Idee, wie die Temperatur im Tunnel gesenkt und die Qualität der Luft verbessert werden kann. Er vergrössert das Kompressorenhaus und installiert weitere Kompressoren. Diese pumpen durch lange Blechrohre frische Luft ins Tunnelinnere.


Die Gotthardtunnel-Baustelle zieht Besucher aus halb Europa an. Im Sommer machen viele einen Halt in Göschenen, wenn sie die Fahrt mit der Kutsche über den Pass unternehmen. Das kleine Göschenen hat während der zehnjährigen Bauzeit fast zehnmal mehr Einwohner als sonst. Die wenigen Hotels im Dorf sind im Sommer voll und die Vermieter von Wohnungen verdienen viel Geld.


1875 stellt die Gotthardbahn AG fest, dass die veranschlagten Kosten nicht eingehalten können. Überall ist zu viel Geld ausgegeben worden. Besonders bei den Tessiner Talbahnen, wo Oberingenieur Robert Gerwig verantwortlich war, wurde zu grosszügig gebaut. Die Tessiner Gemeinden haben prächtige Bahnhöfe erhalten, was zu erheblichen Mehrkosten führte. Robert Gerwig wird entlassen, erhält aber eine Abgangsentschädigung, weil er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Sein Nachfolger wird der Deutsche Wilhelm Hellwag. Dieser erhält den Auftrag, einen Bericht über die Kostenüberschreitungen zu erstellen und einen neuen Kostenvoranschlag zu machen. Hellwags verfasst einen sehr negativen Bericht und verlangt einen Nachtragskredit von 100 Million, damit die Bahn noch fertiggestellt werden kann. Louis Favre ist enttäuscht über Hellwags Bericht und Alfred Escher entsetzt über den hohen Nachtragskredit. Doch Escher ist gefordert, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Woher soll er die geforderten zusätzlichen 100 Millionen Franken nehmen?


Alfred Escher weiss, dass er rasch handeln muss, um die Bahn aus der Krise zu führen. Bereits spricht es sich herum, dass die Gotthardbahn in argen Geldnöten steckt. Die Aktienkurse der Gotthardbahn fallen dramatisch. Dabei sollten doch neue Aktionäre gewonnen werden, um das zusätzliche Kapital beschaffen zu können. Escher schlägt drastische Sparmassnahmen vor. So sollen drei Zufahrtslinien erst zu einem späteren Zeitpunkt gebaut werden. Die aufwändige Verbindung von Bellinzona nach Lugano soll vorerst aus dem Bauprogramm gestrichen werden. Die Linie von Bellinzona nach Luino muss für den Anschluss nach Italien genügen. Auch die Gotthard-Rampen bekommen den Rotstift zu spüren. Sie werden durchgehend nur noch einspurig ausgebaut. Nur bei der Signaltechnik mit den neuen Flügelsignalen will Escher keinerlei Abstriche machen. Escher will von vielen Seiten angefeindet und für die Finanzkrise verantwortlich gemacht.

Die Kunde von der Krise dringt bis nach Deutschland. Reichskanzler Bismarck droht, dass Deutschland aus dem Gotthardprojekt aussteigen werde. Escher arbeitet bis zur Erschöpfung, um bei Freunden und weitsichtigen Geschäftsleuten Geld aufnehmen zu können. Die Gotthardbahn muss gerettet werden! Escher versucht auch, den Kanton Zürich dazu zu bewegen, sich am Nachtragskredit zu beteiligen. Aber er verliert die Abstimmung und wird schwer krank. Jetzt gibt es nur noch eine Lösung: Escher muss selber seinen Rücktritt beantragen, um den Weg für einen Neuanfang mit einer anderen Persönlichkeit freizumachen. Escher tritt als Chef der Gotthardbahn AG zurück. Daraufhin wird auch der bei fast allen unbeliebte Wilhelm Hellwag als leitender Unternehmer entlassen. Neuer Direktor der Gotthardbahn AG anstelle von Escher wird Joseph Zingg. Für den abgesetzten Hellwag (leitender Unternehmer) gilt es jetzt eine vertrauenswürdige und tüchtige Person zu finden.

Ein weiterer schwerer Schlag für die Gotthardbahn ist der überraschende Tod von Louis Favre. Im Sommer 1879 erleidet Louis Favre bei einer Inspektion im heissen Tunnel einen Herzinfarkt. Er bricht zusammen und stirbt. Favre hat sich im Bemühen, den Tunnel rechtzeitig fertigzustellen, völlig verausgabt. Mineure und Ingenieure trauern um ihren Chef, den sie trotz seiner strengen Forderungen verehrt haben. Er verkörperte das Herz des Unternehmens.


Die Wahl von Gustave Bridel als Hellwags Nachfolger erweist sich als Glücksfall für die Gotthardbahn (1879). Der Westschweizer Gustave Bridel ist ein menschenfreundlicher Unternehmer mit guten Kontakten zur Wirtschaft und zum Bundesrat. Es gelingt ihm, den Bund zu einem Nachtragskredit von 4.5 Millionen Franken zugunsten der Gotthardbahn zu bewegen. Nach der Zusage der Schweiz, sich an der Nachfinanzierung zu beteiligen, willigen auch Italien und Deutschland ein, weitere Millionen zu zahlen. Das Gotthardprojekt ist gerettet! Die Mineure arbeiten wieder mit Hochdruck im Tunnel. Langsam nähern sich die beiden Richtstollen dem Punkt, wo sie sich treffen sollen. Am 24. Dezember 1879 hören die Mineure auf der Nordseite ein ganz leichtes Donnern. Sind das schon die Sprengungen auf der Südseite? Die Freude bei den Mineuren und Ingenieuren ist riesig. Doch sie müssen sich gedulden, denn die Geometer haben berechnet, dass es bis zum Februar dauern wird, bis der Durchbruch erfolgen kann.


Gustave Bridel nimmt jetzt die Kehrtunnels und die Trassen der beiden Zufahrtsrampen nach den Plänen von Robert Gerwig in Angriff. Die Zufahrtsrampen werden in weniger als drei Jahren vollendet, obwohl dabei noch keine Bagger zum Einsatz kommen. Alle Trassen müssen mit Schaufel und Pickel erstellt werden. Beim Überqueren der Seitentäler müssen teils grosse Brücken gebaut werden. Das Bild zeigt die Kerstelenbachbrücke während des Baus und nach der Inbetriebnahme der Gotthardbahn.


Die Kerstelenbachbrücke ist eine Gitterbrücke, die auf gemauerten Pfeilern ruht. Die unter der Gitterkonstruktion hinzugefügten Bögen werden erst später zur Verstärkung der Brücke montiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verkehren schwere Dampflokomotiven und ab 1920 noch schwerere elektrische Maschinen auf der Gotthardlinie. Die Brücke weist eine Steigung von 26 Promille auf, was der Maximalsteigung auf den Rampen entspricht.


Das Bild zeigt die neu erstellte Rampe in der Leventina. Die Landschaft ist noch nicht vernarbt, man sieht, wo grosse Erdbewegungen stattgefunden haben. Aus Spargründen sind die Trassen nur einspurig ausgeführt. Die Kehrtunnels weisen jedoch bereits ein breites Profil für den Doppelspurbetrieb auf. Dieser wird Ende des 19. Jahrhunderts realisiert.


Im Februar 1880 hört man auf beiden Seiten immer wieder leises Hämmern. Es sind die Bohrhämmer der Gegenseite, die von Tag zu Tag deutlicher zu vernehmen sind. Die Spannung steigt fast ins Unermessliche, besonders bei den Geometern. Haben sie die Richtung wirklich so berechnet, dass man sich trifft? Am 28. Februar ist es soweit: Ein Bohrhammer der Südseite durchbricht die dünne Wand zwischen den beiden Stollen. Die Mineure wissen, was sie zu tun haben: Einer auf der Südseite nimmt ein Bild von Louis Favre und reicht dieses durch das Loch auf die Nordseite. Die Mineure brechen in Jubel aus.


Ein Mineur hat eine andere Aufgabe. Nach der Übergabe von Favres Foto rennt er im Tunnel zurück bis zur nächsten Telegrafenstation in einer Tunnelnische. Dort übermittelt ein Telegrafist die frohe Botschaft vom Tunneldurchbruch an die Bauleitung vor dem Tunnel. Nach wenigen Minuten ist halb Europa informiert: „Der Gotthard ist durchbrochen!“ Die Mineure im Tunnel erweitern das kleine Loch zu einer breiten Öffnung. Jetzt können sie von einem Stollen zum andern wechseln. Die Mineure fallen sich vor Freude in die Arme. Das Erstaunlichste aber ist die Tatsache, wie genau die Geometer gearbeitet haben. Die Abweichungen in der Höhe und in der Breite betragen beim Zusammentreffen der Stollen nur ganz wenige Zentimeter. Eine Meisterleistung!


Nach dem Durchbruch haben Mineure und Ingenieure das Recht auf einen Feiertag. Angehörige der Mineure werden ans Fest eingeladen. Sie dürfen einen Teil des Tunnels besichtigen und an einem Festbankett teilnehmen. Der Stolz und die Freude über den gelungenen Durchbruch sind riesig. Doch der Ausbau des Tunnelgewölbes und die Installation der Gleisanlagen sind noch nicht abgeschlossen.


Die Ausmauerung des Tunnelgewölbes und der Einbau der Geleise nimmt fast noch ein weiteres Jahr in Anspruch. Erst Ende 1881 ist der Tunnel vollendet.


Beim Einbau der Bahntechnik wird nicht gespart. Gute Sicherheit auf der ganzen Strecke von Immensee bis Bellinzona ist ein grosses Anliegen der Gotthardbahn. Erstmals in der Schweiz werden auf einer längeren Strecke Flügelsignale und Signalglocken in den Bahnhöfen aufgestellt. Die Signalglocken sind durch Schwachstromkabel miteinander verbunden. Jede Glocke besitzt ein aufziehbares mechanisches Läutwerk, das durch einen Stromimpuls aus einer Nachbarstation ausgelöst werden kann. Zwei Glockenschläge kündigen einen Zug aus der einen Richtung an, drei Glockenschläge einen Zug aus der andern. – Hoch modern sind damals die zentralen Hebelstellwerke. Weichen und Signale können vom Bahnhof aus mittels Drahtseile in die richtige Position gebracht werden. Der Bahnbeamte muss sich nicht zu Fuss zu jeder Weiche begeben, um die Weichenhebel umzulegen.


Das Bild zeigt den Nordeingang des Gotthardtunnels und die neue Eisenbahnbrücke über die Reuss kurz vor der Fertigstellung der Bahnlinie.


Zu Beginn des Jahres 1882 können Postzüge, gezogen von einer kleinen Dampflokomotive, bereits durch den Tunnel fahren. Der Postzug nimmt auch schon Passagiere mit. Die kleine Lokomotive ist noch erhalten und steht im Verkehrshaus Luzern.


Die Gotthardbahn beschafft sich gutes Rollmaterial. Die Bahn setzt schöne zweiachsige Erstklasswagen mit Polstersesseln auf ihrer Strecke ein.
In der dritten Klasse jedoch müssen die Passagiere auf Holzbänken Platz nehmen.


Die Gotthardbahn kauft die neuen Lokomotiven in Deutschland. Die Schnellzugslokomotiven mit den grossen Antriebsrädern haben einen Schlepptender. Auf den Rampen befördern sie Schnellzüge in Doppeltraktion und geringer Geschwindigkeit den Berg hinauf. Die Züge sind höchstens halb so lang wie moderne Schnellzüge, da die Zugkraft der Lokomotiven relativ bescheiden ist. Die Güterzugslokomotiven mit ihren kleinen Rädern fahren noch langsamer. Auch sie benötigen auf der Bergfahrt Verstärkung durch eine zweite Lokomotive. Bei der Talfahrt ist das Bremsen der vielen Güterwagen eine heikle Sache. Die Lokomotiven allein schaffen das Bremsen nicht. Deshalb sitzen auf mehreren Güterwagen Bahnangestellte, die auf Pfiff der Lokomotive an ihren Handbremsen kurbeln. Erst nach der Erfindung der Luftdruckbremse mit verbundenen Schläuchen zwischen den Wagen kann von der Lokomotive aus das Bremsmanöver ohne Hilfe von Bremsern auf den Güterwagen ausgelöst werden.


Die Einweihung des Gotthardtunnels ist ein dreitägiges Fest, das an verschiedenen Orten der Schweiz stattfindet. 600 Ehrengäste nehmen bei den Feiern an den beiden Tunneleingängen statt. An allen Bahnhöfen der Gotthardbahn gibt es grosse Volksfeste. Die grösste Feier mit nächtlichem Feuerwerk können die Teilnehmer in Luzern erleben. Alfred Escher wird zu den Feierlichkeiten ebenfalls eingeladen. Doch es geht ihm gesundheitlich so schlecht, dass er die Einladung ablehnt. Gratulationen aus aller Welt treffen beim Bundesrat und bei der Direktion der Gotthardbahn ein. Könige, Kaiser und Präsidenten schicken Botschaften mit Glückwünschen in die Schweiz. Das Ausland ist beeindruckt, dass den Schweizern in Zusammenarbeit mit ihren Nachbarn ein grossartiges Werk gelungen ist. Die Schweiz hat mit der Eröffnung der Gotthardbahn eine attraktive Nord-Süd-Verbindung geschaffen, die mehreren europäischen Staaten zugute kommt.


Am 1. Juni 1882 wird der fahrplanmässige Betrieb auf der Gotthardstrecke aufgenommen. Der erste reguläre Zug, der aus dem Tunnel in Göschenen eintrifft, macht an der Station einen Halt. Dann fährt er weiter talabwärts.


Das Erinnerungsplakat ehrt Alfred Escher und Louis Favre zu Recht als führende Persönlichkeiten beim Bau des Gotthardtunnels. Die Personen in der Dreiergruppe weiter unten sind alles Direktoren der Gotthardbahn AG. Der oberste der drei ist Joseph Zingg, Eschers Nachfolger als Präsident. – Alfred Escher erholt sich nicht mehr von seiner schweren Krankheit. Am 6. Dezember 1882 stirbt er in seinem Haus am Zürichsee. Die Abdankungsfeier drei Tage später mit einer riesigen Zahl von Trauergästen zeigt, wie hoch seine Bedeutung für das politische und wirtschaftliche Leben der Schweiz eingeschätzt wird. – Nachfolger Eschers im Präsidium der Gotthardbahn AG wurde der unermüdliche Schaffer Joseph Zingg. Er genoss als bisheriger Vizepräsident auch das Vertrauen von Alfred Escher und stand mit ihm durch einen intensiven Briefwechsel (500 erhaltene Briefe!) in engem Kontakt. Der geschickt verhandelnde Zingg setzte sich in seinen politischen Ämtern (liberaler Nationalrat, Grossrat) dafür ein, dass die Weichen zugunsten einer weiteren Unterstützung der Gotthardbahn richtig gestellt wurden. Ihm ist es zusammen mit dem klugen Bauleiter Gustave Bridel zu verdanken, dass die schwere finanzielle Krise gemeistert werden konnte. – Das bronzene Denkmal auf der rechten Hälfte der Folie weist auf die 199 Opfer des Tunnelbaus hin. Das Kunstwerk nach einem Entwurf des Tessiner Bildhauers Vincenzo Vela wird anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Gotthardbahn am Bahnhof von Airolo aufgestellt.


Louis Favre und Albert Escher gehören in die Reihe grosser Schweizer. Der Genfer Louis Favre gilt als Pionier des Tunnelbaus, der unerschütterlich an den Erfolg seines Auftrags glaubte und seine ganze Arbeitskraft dafür einsetzte. Alfred Escher erhält 1889 ein grosses Denkmal auf dem Zürcher Bahnhofplatz direkt vor seinem ehemaligen Büro im Südflügel des Hauptbahnhofs. Doch wer kennt ihn noch?
Die Gotthardbahn rentiert von Anfang an, da die internationale Strecke viele Touristen anzieht, die nach Süden fahren wollen. Auch der Güterverkehr gewinnt ständig an Bedeutung. Legendär sind die Gotthardschnellzüge, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den schönen A3/5 Lokomotiven gezogen werden und moderne Vierachserwagen aufweisen. Diese Gotthardschnellzüge machen jeweils einen Halt in Göschenen, damit die Fahrgäste im berühmten Bahnhofbuffet einkehren können.


Der steigende Bahnverkehr auf der Gotthardstrecke macht den Ausbau der Rampen auf Doppelspur unumgänglich. Das Bild zeigt die grandiose Streckenführung in der Leventina. Da wir noch im Dampfzeitalter sind, fehlen Oberleitungen und Strommasten. Auch die Aktienkurse der Gotthardbahn sind im Aufwind. Weil die Bahn rentiert, verfügt sie über genügend Kapital, um den teuren Ausbau auf Doppelspur finanzieren zu können.


Wenige Jahre nach der Eröffnung fahren zwar maximal erst 16 Züge pro Tag in Richtung Süden durch den Gotthardtunnel. Aber schon zehn Jahre später sind es fast doppelt so viele. Das Plakat zeigt einen Fahrplan der Gotthardbahn mit Bildern von Luzern auf der Nordseite des Gotthards und Bildern von den Tessiner Seen auf der Südseite. Der Erfolg der Gotthardbahn ermöglicht es, den Bahnangestellten gute Löhne zu bezahlen. Diese sind stolz auf ihr Bahnunternehmen und froh, bei der Gotthardbahn arbeiten zu können.


Es gibt unzählige Werbeplakate und illustrierte Fahrpläne von der Gotthardbahn. Die Gotthardbahn wird zum Symbol der Verbindung zwischen Deutschland und Italien erhoben. Auf dem linken Plakat ist oben das Strassburger Münster zu sehen (das Elsass gehörte damals zum Deutschen Reich) und unten der Mailänder Dom. Die Zitronen in der Mitte erinnern an Goethe: „Das Land, wo die Zitronen blühn.“


Im Gegensatz zur Gotthardbahn rentieren gegen Ende des 19. Jahrhunderts die meisten Privatbahnen nicht. Die Fahrpreise steigen und die Bevölkerung ist unzufrieden mit den Fahrplänen. Deshalb beschliesst das Schweizer Volk in einer Abstimmung, dass eine Bundesbahn geschaffen werden soll. Die SBB werden 1902 gegründet. Der Rückkauf der Nordostbahn gilt als Gründungstag. Der Rückkauf der Gotthardbahn findet 1909 statt. Die SBB übernehmen gutes Wagenmaterial und schöne Schnellzugslokomotiven von der Gotthardbahn. Für den schweren Güterverkehr benötigen sie aber stärkere Dampflokomotiven. Mit dem Kauf von grossen Dampflokomotiven des Typs C5/6 bei der Schweizerischen Lokomotivfabrik in Winterthur (SLM) erfährt der Dampfbetrieb der SBB am Gotthard seinen Höhepunkt.


Der Kohlemangel im 1. Weltkrieg hat den SBB schwer zu schaffen gemacht. Die Fahrpläne mussten ausgedünnt werden und die Kosten für die eingeführte Kohle stiegen beträchtlich. Deshalb beschliessen die SBB, ihre Hauptstrecken zu elektrifizieren. Eine der ersten Strecken im Elektrifizierungsprogramm ist die Gotthardlinie. 1919 wird sie elektrifiziert und ein Jahr später kann der elektrische Betrieb auf der ganzen Gotthardlinie aufgenommen werden. Zu den schönsten Lokomotiven der SBB zählen die berühmten Krokodil-Maschinen der SLM aus den Zwanzigerjahren. Sie sind Zeugen der grossartigen Entwicklung des Schweizer Lokomotivbaus im frühen 20. Jahrhundert.


Neben den SBB-Krokodilen gibt es eine zweite Gotthardlokomotive, die Geschichte machte. Es ist die sechsachsige Ae 6/6 mit den Chromstreifen und dem Schweizer Wappen an der Stirnseite. Die Maschinen haben nach alter Tradition einen Namen eines Kantons oder einer Gemeinde erhalten. Diese schönen Wappen sind an den Seiten angebracht. Die 6000 PS starke Ae6/6 aus den Fünfzigerjahren ermöglichte das Führen mittelschwerer Güterzüge an der steilen Gotthardrampe ohne Vorspann durch eine zweite Lokomotive.


Der stark zugenommene Bahnverkehr am Gotthard und das Ziel, mehr Güter mit der Bahn zu transportieren, führten zum Bau eines weiteren Jahrhundertbauwerks. Nach der gewonnenen eidgenössischen Abstimmung über die NEAT (Neue Alpen-Transversale) im Jahr 1992 war der Weg frei für den Bau des Gotthard-Basistunnel. Das Projekt war zukunftsweisend. Die Schweiz wagte einmal mehr, im Eisenbahnbau eine Pionierleistung zu vollbringen. 1999 erfolgte der Baubeginn für den längsten Eisenbahntunnel der Welt.


Von Anfang an wurde der Tunnel so geplant, dass die Züge mit hohen Geschwindigkeiten verkehren können. Aus Sicherheitsgründen entschied man sich, zwei 40 Meter voneinander getrennte Fahrröhren zu bauen. Die beiden Fahrröhren sind durch viele Querstollen miteinander verbunden.


Jede Fahrröhre (Tunnelröhre) ist 57km lang. Wie auf dem Bild zu sehen ist, befinden sich im Tunnelinnern Nothaltstellen mit doppelten Gleiswechseln (je vier Weichen). Jede Nothaltstelle hat einen Zugang von aussen. Bei der nördlichen Nothaltstelle erfolgt der Zugang von oben durch einen Lift mit anschliessendem Stollen von Sedrun aus. Bei der südlichen Haltstelle wird der Zugang durch einen Stollen von Faido aus gewährleistet. Alle 325 Meter gibt es einen Querstollen als Verbindung von einer Fahrröhre zur andern.


Durch die hohen Geschwindigkeiten der Züge werden die Luftmassen in den Röhren bewegt und der Tunnel durchlüftet. Zusätzlich gibt es einen Entlüftungsstollen in der Nähe von Sedrun. Der Zugangsstollen von Sedrun aus ist nur für Bahnangestellte zugänglich. Der Stollen und der Lift im 800m langen Schacht könnten aber im Notfall benützt werden. Der Plan für den Bau eines unterirdischen Bahnhofs mit Zugang von Sedrun wurde schliesslich aus betrieblichen Gründen fallen gelassen. Die vielen Querstollen dienen der Sicherheit der Zugpassagiere. In einem Brandfall könnten die Passagiere von einer Fahrröhre in die andere flüchten.


Die etwa 400 Meter lange Tunnelbohrmaschine (inklusive Nachläufer) hat einen Bohrkopf von rund 9m Durchmesser. Zehn Motoren sind nötig, um die Maschinen immer wieder ein paar Meter vorwärtszubewegen und den Bohrkopf mit grosser Kraft gegen die Tunnelbrust zu pressen. Der Bohrkopf mit den 58 Rollenmeisseln dreht sich bei der Arbeit und entfernt den Felsen sozusagen scheibenweise. Das herabfallende Gestein wird aufgefangen und einem Förderband zugeführt. Dieses befindet sich in der Mitte der Tunnelbohrmaschine (TBM) und transportiert die Gesteinsbrocken Richtung Tunnelausgang. Einige Meter hinter dem Bohrkopf wird der Tunnel durch einen Spritzautomaten mit Spezialbeton gesichert und an heiklen Stellen durch Metallbögen verstärkt.


80 Prozent der beiden Hauptröhren konnten mit der Tunnelbohrmaschine (TBM) erstellt werden. Der Rest erfolgte im konventionellen Sprengvortrieb. Am 15. Oktober 2010 wird der Durchbruch in der Oströhre vor laufenden Fernsehkameras in die ganze Welt übertragen. Auf den spektakulären Fernsehaufnahmen sieht man, wie der rotierende Bohrkopf den Felsen wie einen Käse abhobelt und schliesslich ganz durchbricht. Eine weitere Sternstunde des Tunnelbaus ist angebrochen!


Der aufwändige Innenausbau des Tunnels wird mit modernsten Maschinen und Materialien ausgeführt. Im Gegensatz zum alten Gotthardtunnel sind die Baustellen stets taghell beleuchtet. Je nach Beschaffenheit des Tunnelgesteins werden verschiedene Verfahren angewandt und unterschiedliche Materialien verwendet.


Da die Züge mit hohen Geschwindigkeiten den Tunnel durchfahren werden (theoretisch bis 250km/h), müssen die Gleise äusserst stabil sein und präzis montiert werden. Der Einbau der Schienen geschieht auf einer Betonunterlage ohne die Verwendung von Schotter. – Das Sicherheitskonzept mit den zwei getrennten Tunnelröhren hat sich als richtig erwiesen. 2023 ist es nach einem Radbruch bei einem Güterwagen mit veraltetem Bremssystem zu einer Entgleisung mehrerer Güterwagen gekommen. Diese prallten bei einer Weiche im Tunnelinnern mit voller Wucht in das geschlossene Verbindungstor. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn sich der Unfall in einer zweigleisigen Tunnelröhre mit Gegenzugbetrieb ereignet hätte! Der Unfall hatte auch so noch schwerwiegende Folgen. Da der Radbruch bereits vor der der Entgleisung erfolgte, waren die Betonschwellen über mehrere Kilometer schwer beschädigt worden. Die Reparaturarbeiten in der betroffenen Tunnelröhre nahmen über ein Jahr in Anspruch und verursachten Kosten von gut 150 Millionen Franken. In dieser Zeit des einspurigen Bahnbetriebs im Basistunnel fuhren viele Züge wieder über die alte Bergstrecke. Diese wird auch in Zukunft neben ihrer Funktion als Touristenattraktion weiterhin als wichtige Auswegstrecke offengehalten.


Das Bild zeigt eine fertige Fahrröhre mit den montierten Schienen an einer Nothaltstelle. Diese weist auf einer Länge von 450 Metern einen Gehsteig für die Passagiere auf. Die Notausgänge sind mit grünen Leuchten markiert.


Nach der Fertigstellung des Tunnels erfolgte der Einbau der Bahntechnik. Da bei Geschwindigkeiten über 160 km/h die Signale nicht mehr richtig erkannt werden können, wird der Kontakt zum Lokomotivführer über ein elektronisches Zugleitsystem hergestellt. Dieses übermittelt die wichtigen Daten über die einzuhaltenden Geschwindigkeiten auf den Bildschirm im Führerstand. Auf diese Weise erhält der Lokomotivführer laufend die nötigen Informationen für eine sichere Fahrt durch den Tunnel. Um einen möglichst störungsfreien Zugbetrieb zu bekommen, werden monatelang Testfahrten im Tunnel durchgeführt.


Am 1. Juni 2016 wird der Tunnel in einem würdigen Fest eingeweiht. Für die erste Zugfahrt durch den Tunnel werden 1000 Plätze angeboten, die unter der Schweizer Bevölkerung verlost worden sind. Weitere 1100 Plätze im Gegenzug sind für Ehrengäste aus dem politischen Leben reserviert. Der ganze Bundesrat, Mitglieder des Schweizer Parlaments und zahlreiche europäische Politiker sind auf der ersten Fahrt dabei. Auf dem Bild sehen wir links oben Verkehrsministerin Doris Leuthard mit SBB-Generaldirektor Andreas Meyer. Rechts oben durchschneidet Bundespräsident Johann Schneider-Ammann das Einweihungsband. Links unten sehen wir die politischen Repräsentanten aus unseren Nachbarländern zusammen mit Bundespräsident Schneider-Ammann auf der Fahrt durch den Tunnel. Im Uhrzeigersinn: Angela Merkel, François Hollande, Matteo Renzi, Johann Schneider-Ammann. Rechts unten: Eröffnungszug. Der fahrplanmässige Betrieb durch den Basistunnel wird im Dezember 2016 aufgenommen.


Mit Lötschberg/Simplon und dem Gotthard Basistunnel bietet die Schweiz nun zwei sichere und schnelle Verbindungen von Italien nach Deutschland an. Die Schweiz hat einen wichtigen Beitrag zur Verbindung der europäischen Völker getan.


Die Gotthardstrecke ist mit dem Bau des Basistunnels zu einer Hauptschlagader des europäischen Eisenbahnverkehrs geworden. Wenn die Zufahrtslinien in Deutschland und Italien voll ausgebaut sind, wird ein grosser Teil des Güterverkehrs von Norden nach Süden mit Containerzügen durch den Gotthardtunnel abgewickelt werden können.


Nach der erfolgten Inbetriebnahme des Ceneri-Tunnels (2020) kann die Durchquerung der Schweiz von Norden nach Süden nun vollständig auf einer Flachbahn erfolgen. Die neue Bahn ist eine grosse Chance für den schnellen Gütertransport mit Containern. Gerechnet wird mit viermal mehr Zügen im Güterverkehr gegenüber den Schnellzügen. Mit der voll ausgebauten Flachbahn durch die Alpen wird die Bahn gegenüber dem Gütertransport auf der Strasse absolut konkurrenzfähig. Bei den Schnellzügen haben sich die Reisezeiten weiter verkürzt. So dauert die Fahrt von Basel nach Mailand nur noch vier Stunden. Und von Zürich bis Lugano sitzt man nur noch zwei Stunden im Zug. Der längere Weg über die prächtige Gotthard-Bergstrecke bleibt als attraktive Alternative und wichtige Ausweichroute aber weiter bestehen.


Der Bau des ersten Gotthardtunnels war eine grossartige Pioniertat im Schweizer Eisenbahnbau. Die Schweiz hat damit einen Markstein in der europäischen Eisenbahngeschichte gesetzt. Mit dem neuen Gotthard-Basistunnel als Flachbahn erfüllt der wichtigste Alpendurchstich im Herzen Europas alle Anforderungen an eine leistungsfähige und umweltfreundliche Verkehrsverbindung.


Tipp

Nr. 1: Das Schweizer Wirtschaftswachstum. 96 Charts mit Erläuterungen. Und 12 Thesen.
Nr. 2: Die Erfolgsgeschichte der Gotthardbahn. 99 Charts mit Erläuterungen. Und 12 Thesen.
Weitere Themen erscheinen demnächst.


Kurzporträt Hanspeter Amstutz
Ehemaliger Sekundarlehrer mit langjähriger Berufserfahrung. Mitgestalter in der Zürcher Schulpolitik als Kantons- und Bildungsrat. Aktuell tätig als Referent zu historischen Themen, in der Lehrerfortbildung im Bereich Geschichte sowie als Autor für zwei Schulblogs. Kontakt: famamstutz@bluewin.ch

Ein grosses Anliegen von Hanspeter Amstutz ist es, Meilensteine unserer Schweizer Geschichte in Vorträgen lebendig werden zu lassen. Anfragen für öffentliche Präsentationen nimmt er über seine Mailadresse entgegen.


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